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Band 6 (1997) Heft 1 "Selbstfremdheit"
Die Dialektik des Eigenen und des Fremden erscheint wie ausgelaugt. Die wechselseitig
reziproken Prozesse der Aneignung und der Entfremdung funktionieren nicht mehr. Die
Annahme, man sei aufgrund der Feindschaft mit anderen gut Freund mit sich selbst, ist
inzwischen ein alter Hut, der nicht mehr als Kopfbedeckung taugt. Dass man sich selbst
fremd sei und bis zum Rotwerden unbekannt, kehrt die sattsam bekannte Dialektik des
Eigenen und des Fremden nicht um, sondern stellt sie still. Der Verdacht, dass im Zentrum
der homogenisierten Systeme das Heterogene als Fremdkörper hockt – und dies zumeist
in maskierter Gestalt –, führt zu einer Entmutigung aller Erkenntnisverfahren, die
noch aufs Ganze gehen wollen. Wenn man mit Giambattista Vico davon ausgeht, dass
man nur verstehen kann, was man selbst gemacht hat, so heißt Selbstfremdheit, dass wir
– wegen der Ungeheuerlichkeit der Wirkungen – nicht kennen und nicht verstehen, was
in uns beim Machen am Werk ist.
Die grenzenlose Homogenisierung des Heterogenen hat inzwischen die ganze Erde in
eine Müllhalde verwandelt. Aber wir können den Prozess nicht unterbrechen, ohne die
Selbstfremdheit als Problem zu akzeptieren. Die sogenannte Normalität, das „Selbstverständlichste“,
muss als unbeschränkt parasitäres Modell der Lebensfristung, überhaupt
als inkorporiertes Kapital in den Köpfen entlarvt und bloßgestellt werden.
(aus d. Vorwort d. Hg.)
Herausgegeben von Dietmar Kamper
AUTOREN: Beiträge
DIETMAR KAMPER: Selbstfremdheit
MICHAEL MAKROPOULOS: Stadtkultur und Grenzpersönlichkeit
HENNING SCHMIDGEN: Einbildung und Ausführung
ANDREAS STEFFENS: Die Möglichkeit Mensch. Wiederaufnahme der Anthropologie
am Ende des Jahrhunderts
MICHAEL MAYER: Humanismus im Widerstreit. Zur De-Struktur der
Rede vom Menschen
WOLFGANG KAEMPFER: Das Gefängnis der Freiheit. Zur Pathologie von
Bewußtseinsprozessen
BERND TERNES: Besänftigung als Aussicht aufs Weiterschreiben nach der
Erkenntnis, daß man Zeit nicht ermorden kann
PETER MATUSSEK: www.heavensgate.com – Virtuelles Leben zwischen
Eskapismus und Ekstase
HANS ULRICH RECK: Mythos und Beschreibung. Ästhetisches Differenzdenken
als Problem von Kunst und Kunsttheorie
FRANZ LITTMANN: Riskante Vergegenwärtigungen. Das Selbstfremde in
der aktuellen Kunst
CLAUDIA BENTHIEN: Häutungen. Folter – Enthüllung – Gestaltwandel.
Zur Kulturgeschichte einer „Entdeckung“
HARTMUT BÖHME: Enthüllen und Verhüllen des Körpers in Bibel, Mythos
und Kunst
DIETMAR KAMPER: GeistesGegenwart und KörperDenken
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